Die große Regression fordert die Linke heraus

So ein kleines Buch, so ein großes Vorhaben. Die große Regression betreibt mit seinem kompakten Format und der schlichten Umschlaggstaltung (aber sehr angenehmen Haptik) ein Understatement, denn auf knapp über 300 Seiten finden sich, unter der Herausgeberschaft des Suhrkamp Lektors Heinrich Geiselberger selbst, theoretische Überlegungen 15 bedeutender Autoren, Journalisten und Soziologen zu keinem geringeren Gegenstand als dem Heute, unserer Gegenwart.

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Die Rückkehr längst vergangen geglaubter Konzepte brachte die Linke zunächst zum Erliegen.

Für das Projekt gewinnen ließen sich unter anderem zwei meiner liebsten Theoretiker, der kürzlich verstorbene Kritiker der Postmoderne, Zygmunt Bauman, sowie die nicht minder kritische Soziologin Eva Illouz. Jene bringt in ihrem Aufsatz den Populismus in ihrem Herkunftsland Israel mit der Entwicklung rund um Trump in den USA in Verbindung. Die sich allerorts verbreitende „reaktionäre Politik“ sei in Israel bereits seit 10 Jahren zu beobachten und ähnele beispielsweise im Bereich des Umgangs mit Einwanderern jenem, den Donald Trump propagiert. Die massivste Kritik Illouz‘ sowie nahezu aller Beitragenden gilt jedoch nicht pomadierten Feindbildern, sondern der Linken selbst. Während sie das Versäumnis aufführt, als jene politische Kraft auch die Stimme der israelischen Arbeiterbewegung zu sein, wertet der Soziologe Wolfgang Streeck das Nicht-Erkennen des Willens der ,,Verdrängten“ weltweit, in die politische Sphäre zurückzukehren, als ein Versagen der eigentlichen Vordenker.

Hans-Martin Schönherr-Mann stört sich im Deutschlandfunk zwar daran, dass in diesem Buch primär linke Stimmen zu Wort kommen, verkennt damit aber das Ziel des Projekts: Die Linke muss die für ebenjene Vertreter zunächst gänzlich unverständlichen regressiven Entwicklungen in Richtung einzelstaatlicher Abschottung, Neoliberalismus und Populismus aus eigentlich freien und demokratischen Gesellschaften heraus erst einmal verstehen und beim ungestörten Verbleib unter sich verarbeiten, um selbst wieder handlungsfähig zu werden. Bis dahin bleibt zu hoffen, dass beispielsweise Zygmunt Baumans differenzierte Betrachtung von Migration als ungerichteter Bewegung von etwas weg im Gegensatz zu Im- und Emigration, die er an einen Essay Umberto Ecos anlehnt, von den entscheidenden Personen gehört wird. Denn „in der heutigen Welt kann man zwar die Einwanderung (mit mäßigem Erfolg) zu begrenzen versuchen, die Migration jedoch folgt unabhängig von dem, was wir tun, ihrer eigenen Logik“.

Die große Regression ist sicherlich kein Lösungsmanual für Probleme dieser Zeit, aber eine längst fällige Bemühung, internationale Debatten in Gang zu bringen, die sich sonst oftmals nur in wissenschaftlichen Elfenbeintürmen abspielen. Der Sammelband wird weltweit in Partnerverlagen publiziert und das Haus Suhrkamp strengt seine geballten Digitalmarketingkräfte an, um den Diskurs auch außerhalb des Buches voran zu treiben; mit eigener Onlinepräsenz und dem Hashtag #greatregression. So ein kleines Buch, so ein großes Vorhaben.

Die große Regression – eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit
ist im April im Suhrkamp Verlag erschienen und für 18 Euro zu erstehen.

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